Das Braunkehlchen ist, mit großem Abstand vor Feldsperling und Neuntöter, zum Vogel des Jahres 2023 gewählt worden, zum zweiten Mal nach 1987. Also, Braun-, nicht Rot-, nicht Blau- und auch nicht Schwarzkehlchen. Alle sind Kehlchen, alle gehören in die Familie der Schnäpper und diese wiederum in die Ordnung der Sperlingsvögel. Wer als Wanderer oder als Radlerin ein Braunkehlchen sehen und erkennen will, sucht am besten in feuchten Riedwiesen mit kleinen Büschen und einzelnen Zaunpfählen im Rheintal. Oder man nimmt an einer der zahlreich angebotenen Exkursionen teil und lässt sich den Wiesenbrüter von erfahrenen Feldornitholog:innen zeigen. In der zweiten Aprilhälfte kommen die ersten aus ihrem Winterquartier weit südlich der Sahara bei uns an. Dann sind sie sage und schreibe fünftausend Kilometer geflogen! Das Männchen ist auffälliger gefärbt als das Weibchen, mit einem weißen Überaugenstreif, einer schwarzen Maske und hellbrauner Kehle. Mit ihrer blasseren Färbung sind die Weibchen während der Brut am Boden besser getarnt. Wenn der braun kehlige Mann dann Erfolg mit seinem Balzgesang hatte und eine fesche braun kehlige Frau anlocken konnte – meist entscheidet die Qualität des Reviers, ob`s was wird – baut sie ein gut verstecktes Bodennest, oft unter einem Busch und nie von oben einsehbar. Die meist sechs Eier werden etwa zwei Wochen bebrütet, die Nestlinge weitere zwei Wochen gefüttert und dann heißt es: Verstecken! Noch können die Jungen nicht fliegen, aber eine Woche später ist diese gefährlichste Zeit überstanden.
Braunkehlchen ernähren sich von Insekten, deren Larven und Spinnen, selten von Beeren. Wo bis zu elf Mal (!) im Jahr mit einem Kreiselmäher gemäht wird, überlebt kein Insekt. Dort gibt es auch keine hohen Grasbüschel oder niedere Büsche. Dies ist einer der Gründe, warum Braunkehlchen aus einigen Gebieten völlig verschwunden sind. Folglich ziehen die Vögel weiter auf der Suche nach geeigneten Lebensräumen. Der Rückgang der Population war besonders in den sechziger Jahren dramatisch, von ursprünglich 26 singenden Männchen auf einer Probefläche im Rheindelta blieben nach drei Jahren nur 13 übrig.
Durch Entbuschung und Extensivierung weniger Flächen durch Freiwillige konnten im Höchster Ried die Verluste wieder wettgemacht werden. Angeregt durch diese Erfolge starteten der Naturschutzbund Vorarlberg und die Vorarlberger Jägerschaft 1999 gemeinsam das Projekt „Wiesenbrüterschutz“. Zuerst lag das Augenmerk auf Kiebitz, Brachvogel und Bekassine. Im Jahr 2020 kam das Braunkehlchen als neue Art dazu. Im Zuge der Feldforschung erfassen Ornithologen jährlich die Zahlen der brütenden Vögel. Manche Nester von besonders gefährdeten Vogelarten werden mit Elektrozäunen gegen Beutegreifer geschützt. Für das Braunkehlchen werden kleine Äste als Singwarten in den Boden gesteckt und die Biotopstruktur verbessert. Lag der Bestand im Jahre 2017 bei geschätzten 200 Brutpaaren in Vorarlberg, so waren es im vergangenen Jahr bereits 260. Durch unzählige Gespräche mit Landwirten und Grundstücksbesitzern konnten mehrere Rotationsbrachen eingerichtet werden. Dabei werden einzelne Felder in manchen Jahren nur einmal gemäht, Randstreifen bleiben stehen, auch einige wenige Büsche können wachsen. Solche Wiesen locken Insekten an, die sich auch erfolgreich vermehren können. Auch andere Vögel nehmen den reich gedeckten Tische gerne an, wie Schafstelze und Schwarzkehlchen.
Es ist eine gesetzliche Aufgabe der Landesregierung, in ausgewiesenen Natura 2000 Gebieten für die Erhaltung und Verbesserung der Lebensräume zu sorgen. Auf den Schutz gefährdeter Arten ist besonderer Wert zu legen. Diese Arbeit kann an Vereine oder andere Organisationen übertragen werden. Der Naturschutzbund Vorarlberg und die Vorarlberger Jägerschaft haben sich gemeinsam in einem Langzeitmonitoring dieser Aufgabe gestellt. So entstand ein Vorzeigeprojekt, das beachtliche Erfolge vorweisen kann. Dies zeigt sich nicht nur in den erfassten Bestandszahlen, sondern auch im wachsenden Interesse der Bevölkerung. Oft werden die Fachleute von Naturschutzbund und Jägerschaft von Spaziergängern oder Radlerinnen nach dem Warum ihrer Tätigkeit gefragt und geben gerne Auskunft. Während in der Schweiz kaum noch Braunkehlchen in den Niederungen brüten, hat bei uns der Bestand wieder zugenommen.
Es steckt viel Arbeit in dem Projekt „Wiesenbrüterschutz“. Es hat sich gelohnt! Danke!