Gesetzliche Ausgangslage in Vorarlberg
Im Vorarlberger Jagdgesetz ist die Erteilung von Abschussaufträgen sowie die Anordnung von Freihaltungen in § 41 VJagdG im Zusammenhang mit dem Abschuss von Schadwild verankert. Die Regelungen zu den Abschüssen von Schadwild geltend ausdrücklich nicht für nach Artikel 12, 14 oder 15 der FFH Richtlinie geschützte Wildarten. Nachdem unter anderem auch das Gamswild im Sinne der FFH-Richtlinie geschützt ist, behalf sich der Vorarlberger Gesetzgeber damit, das Gamswild von der Schutzbestimmung über eine einfachgesetzliche Bestimmung wieder auszunehmen um dadurch Abschussaufträge und die Anordnung von Freihaltungen von Gamswild auf einfachem Wege zu ermöglichen. Als Rechtsbeirat der Vorarlberger Jägerschaft habe ich in diesem Zusammenhang immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Sonderregelung zu Lasten unseres Gamswildes aus meiner Sicht gegen die europäische FFH Richtlinie verstößt. Bis dato fehlte dazu höchstgerichtliche Rechtsprechung. Mit dem neuesten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 03.09.2024 (RA 2023/03/0154-17) ist nunmehr zu dieser Frage zu Gunsten unseres Gamswildes durchaus Bewegung ins Spiel gekommen.
Zum aktuellen Anlassfall
Im konkreten Anlassfall bekämpfte der Verein „Wildes Bayern“ Zwangsabschuss-Anordnungen von Gamswild im sogenannten Höllengebirge in Oberösterreich. Argumentiert wurde, dass im Zuge von „Ketten-Bescheiden“ der zuständigen Bezirkshauptmannschaften derartige Dezimierungsmaßnahmen ohne Rücksicht auf Schonzeiten oder die Auswirkungen auf die Wildpopulationen nicht ohne weiteres mit dem EU-Recht vereinbar sei, zumal Gamswild im Anhang V der FFH Richtlinie als schützenswerte Wildart enthalten sei. Bei jeglichem Umgang mit dieser geschützten Wildart sei deshalb stets sicherzustellen, dass die Population einerseits nicht gefährdet und anderseits ihr Erhaltungszustand in der Region günstig bleibe.
Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes
Der österreichische Verwaltungsgerichtshof hat den angeordneten Zwangsabschuss für Gamswild für rechtswidrig erklärt. Die in Artikel 11 FFH Richtlinie vorgesehene Überwachung des Erhaltungszustandes der in Artikel 2 genannten Arten und Lebensräumen ist unabdingbar, um die Einhaltung der in Artikel 14 der Richtlinie genannten Voraussetzungen zu gewährleisten und festzustellen, ob es notwendig ist, Maßnahmen zu erlassen, die die Vereinbarkeit der Nutzung dieser Art mit der Erhaltung eines günstigen Erhaltungszustandes sicherstellen.
Da die Auswirkungen der Entnahme aus der Natur und der Nutzung dieser Art auf den Erhaltungszustand der betreffenden Art „aufgrund der Überwachung gemäß Artikel 11“ FFH Richtlinie zu bewerten ist, müssen die Mitgliedsstaaten außerdem, wenn sie in Anwendung von Artikel 14 Abs 1 der FFH Richtlinie Entscheidungen treffen, mit denen die Jagd dieser Art erlaubt wird, diese Entscheidungen begründen und die Überwachungsdaten bereitstellen, auf die diese Entscheidung gestützt wird.
Bemerkenswert ist, dass nicht nur Daten über die Populationen der betreffenden Art zu berücksichtigen sind, sondern auch die Auswirkung der gegenständlichen Maßnahme auf den Erhaltungszustand dieser Art in einem größeren Rahmen auf der Ebene der biogeographischen Region (oder soweit möglich grenzüberschreitend) zu erheben sind.
Daraus ergeben sich gemäß jüngster Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Anordnung von Zwangsabschüssen von Tieren, die in Anhang V der FFH Richtlinie angeführt sind, folgende unionsrechtliche Vorgaben.
Zunächst ist insbesondere auf Basis der Ergebnisse der Überwachung zu klären, ob sich die betroffene Tierart in einem günstigen Erhaltungszustand im Sinne des Artikel 1 lit i FFH Richtlinie befindet.
Ist dies nicht der Fall, so steht Artikel 14 FFH Richtlinie einer Bejagung und damit auch der Anordnung eines Zwangsabschusses entgegen, wenn und soweit dies mit der Aufrechterhaltung (oder Wiederherstellung) eines günstigen Erhaltungszustands sonst nicht vereinbar wäre.
Besteht hingegen ein günstiger Erhaltungszustand, so können auf der Grundlage von Artikel 14 FFH Richtlinie begleitend zur (nicht grundsätzlich unzulässigen) Anordnung eines Zwangsabschusses Maßnahmen im Sinne des Artikels 14 Absatz 2 FFH Richtlinie erforderlich sein, um den günstigen Erhaltungszustand aufrecht zu erhalten.
In Bezug auf Artikel 14 FFH Richtlinie kann eine Verletzung darin liegen, dass der Erhaltungszustand der betreffenden Tierart nicht ermittelt wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat daher den Bescheid aufgehoben und ausgesprochen, dass in einem fortgesetzten Verfahren vom Verwaltungsgericht zu klären ist, ob das Gamswild sich in einem günstigen Erhaltungszustand befindet. Der VwGH stellte klar, dass die Anordnung eines Zwangsabschusses für Gamswild als Tierart von Anhang V der FFH Richtlinie zwingend voraussetzt, dass der günstige Erhaltungszustand aufrechterhalten wird und somit die Bestandzahlen und die mögliche Beeinträchtigung der Gamspopulation durch die Maßnahme vorab festgestellt werden müssen.
Ausblick
Es wird daher künftig spannend sein, inwieweit sich die Jagdbehörden erklären, welche Maßnahmen, insbesondere welche Monitoring- bzw. welche Überwachungsmaßnahmen gemäß Artikel 11 FFH Richtlinie in den Jagdrevieren vorgenommen wurden oder werden, in denen Gamswild aufgrund eines Abschussplanes oder aufgrund von Zwangsabschüssen gejagt bzw. in denen Schonzeiten für Gamswild verkürzt wurden. Jeglicher Umgang mit Gamswild muss deshalb stets sicherstellen, dass die Population nicht gefährdet und der Erhaltungszustand der Region günstig bleibt. Auch in Vorarlberg hat „Wildes Bayern“ bei den Bezirkshauptmannschaften Anträge auf Erteilung von Umweltinformationen bezüglich Gamswild eingeholt. Die derzeitigen Entwicklungen sind im Sinne unseres Gamswildes als durchaus spannend zu beurteilen.